Borkenkäfer und Klimawandel im Waldviertel

Ein Interview mit Oberforstrat DI Gerhard Mader

Die Borkenkäferproblematik ist seit den letzten Jahren ungebrochen hoch! Besonders heuer kam es, bedingt durch den warmen und niederschlagsarmen Winter, zu einem frühen Flug des Waldschädlings. Der Klimawandel begünstigt nicht nur die Anzahl der Borkenkäferpopulationen pro Jahr, welche in den vergangenen Jahren von zwei auf bis zu vier gestiegen sind, die Wälder leiden vermehrt unter Trockenheit. Auswirkungen sind Wurzeltrockenheit, verminderter Saftstrom sowie absterbende Mykorrhiza-Pilze. Letztere sind Symbionten aus unterirdischen Feinwurzeln und Pilzen.

Oberforstrat DI Gerhard Mader

Wir haben mit Oberforstrat DI Gerhard Mader über die aktuelle Situation im Waldviertel und über den derzeitigen Absatzmarkt von Holz gesprochen.

DI Gerhard Mader betreut als Forstsekretär der Landwirtschaftskammer NÖ die politischen Bezirke Horn und Hollabrunn. Da der Bezirk Horn wesentlicher vom Borkenkäferbefall betroffen ist, konzentriert sich das folgende Interview verstärkt auf diese Region.

 

NAWARO ENERGIE: Herr Mader, wie ist Ihre Meinung zum Klimawandel, speziell im nördlichen Waldviertel, und zu den klimatischen Veränderungen im Wald?

Gerhard Mader: Durch die sich ändernden Klimabedingungen sind im zum Teil noch pannonisch geprägten Bezirk Horn die Fichtenbestände fast zur Gänze verschwunden. Ausgenommen sind Gunstlagen, das sind Nordlagen mit guter Wasserversorgung.

Die Fichte braucht im Durchschnitt 600 Millimeter Jahresniederschlag, während der Vegetationszeit um die 370 Millimeter. Wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, dann leiden die Bäume unter einer Reihe von Schädigungen. Die geschwächten Bäume senden Botenstoffe aus, die dem Borkenkäfer die Bruttauglichkeit des Baumes signalisieren.

Die laufenden Niederschläge, die der Flachwurzler Fichte benötigt, werden massiv weniger. Zudem wird es laufend wärmer. Wären reichlich Niederschläge vorhanden, wäre das Ansteigen der Jahresmitteltemperatur kein Problem, die Bäume würden sogar mit erhöhtem Zuwachs reagieren.

Ein Beispiel: die Stadt Drosendorf im nördlichen Waldviertel war 2018 die niederschlagärmste Stadt in Österreich. Der Jahresniederschlag belief sich auf 295 Millimeter! Auch das benachbarte Raabs an der Thaya (Bezirk Waidhofen/Thaya) ist von Niederschlagsarmut stark betroffen. Die Fichte stirbt großflächig bis in die Jungkulturen ab!

Ein zukunftsorientierter Waldaufbau im Waldviertel liegt in der Begründung bzw. natürlichen Verjüngung von klimafitten heimischen Wäldern. Dazu gehören die Baumarten Tanne, Eiche, Buche, etwas Fichte und etwas Douglasie. Letztere stammt aus Amerika und ist eine trockenresistente Baumart.

Bestandsbegründung, egal ob gepflanzt oder durch Naturverjüngung, kann nur dann gelingen, wenn im Lebensraum Wald auch der Wildbestand in dieser so wichtigen Phase angepasst wird.

 

NAWARO ENERGIE: Berichten zufolge sind auch andere Nadelbäume, wie z.B. die Kiefer, vom Borkenkäfer und Klimawandel vermehrt betroffen. Ist das auch im Waldviertel der Fall?

Gerhard Mader: Selbst Forstleute sind darüber verwundert, dass die Kiefer von den klimatischen Auswirkungen so in ihrer Vitalität geschädigt wird. Der Bezirk Horn kämpft seit den letzten Jahren verstärkt mit dem Problem des Kiefersterbens. Dieser Nadelbaum, mit seinem Pfahlwurzelsystem, steht so wie die Fichte unter Trockenstress. Daher ist sie ebenfalls leicht anfällig für verschiedene Borkenkäferarten.

Es wurden in Österreich bisher ca. 130 Borkenkäferarten an Nadel- und Laubbäumen nachgewiesen, mindestens drei bis vier Arten davon befallen derzeit gleichzeitig die Kiefer. Zu den wichtigsten Borkenkäferarten auf der Baumart Fichte zählen der Buchdrucker und der Kupferstecher.

 

NAWARO ENERGIE: Wie schätzen Sie die aktuelle Borkenkäfersituation im Bezirk Horn sowie im nordöstlichen Waldviertel ein? Wie stark sind unsere Wälder betroffen, und was erwarten Sie für die beginnende Käfersaison?

Eine Waldfläche im Bezirk Horn, die durch Borkenkäfer und Klimawandel zur Kahlfläche wurde. Aufgenommen im Frühjahr 2020.

Gerhard Mader: Die Baumartenanteile im Bezirk Horn entfallen zu je einem Drittel auf Fichte, Kiefer und Laubholz. Die Fichte ist bis auf Jungkulturen und einigen Stangenhölzern fast gänzlich verschwunden. Jetzt geht es der Kiefer an den Kragen. Im Bezirk Waidhofen an der Thaya, speziell in der Gemeinde Raabs, ist es ähnlich. Schon 60% der Großgemeindewaldfläche sind bereits abgestorben und kahl! Derzeit steht die Käferwalze im Raum Dobersberg, im Gmünder Becken sowie im Nordosten von Zwettl (Großraum Allentsteig, Göpfritz/Wild, Ottenstein). Mittelfristig, also schon in den nächsten fünf Jahren, wird die Fichte unter 600 m Seehöhe den Kampf ums Überleben vielerorts verloren haben.

Für das heurige Jahr erwarte ich einen Borkenkäfertsunami in bisher ungeahntem Ausmaß.

Speziell in den beiden zurückliegenden Jahren 2018 und 2019 haben die Bäume fast irreparable Feinwurzelschädigungen im Oberboden erlitten. Der Grundwasserspiegel ist massiv gefallen, wodurch viele Brunnen im Waldviertel einfach ausgetrocknet sind.

Erschwerend kommt hinzu, dass der Wald heuer sehr stark zu blühen beginnt. Diese Samenjahre wären einerseits wichtig für die natürliche Verjüngung, sie kosten dem Baum jedoch sehr viel Kraft und die Vitalität sinkt abermals.

Für 2020 befürchte ich in Niederösterreich eine weitere nochmalige massive Zunahme von insgesamt mehreren Millionen Festmetern anfallendem Schadholz. Derartige Mengen sind nahezu unverkäuflich.

 

NAWARO ENERGIE: Wie hoch war das Schadholzaufkommen im letzten Jahr in Ihrem Forstbezirk und im Waldviertel insgesamt? Können Sie sagen, wie viel Prozent der Waldfläche gerodet wurden, und ob diese Flächen zeitnahe wieder aufgeforstet werden?

Gerhard Mader: Die Kahlflächen durch Schadholzanfall im Bezirk Horn belaufen sich auf rund 5.000 bis 6.000 Hektar, davon dürfte ein Drittel im Vorjahr dazu gekommen sein. Im gesamten Waldviertel reden wir von Kahlschlagflächen in einem Gesamtausmaß von 18.000 bis 20.000 Hektar, welche in den letzten drei Jahren entstanden sind. Stark betroffen sind die Bezirke Horn, Waidhofen/Thaya und Krems sowie Teile von Zwettl. Im Bezirk Horn wurden in den letzten drei Jahren ca. 15% der Schadflächen wieder aufgeforstet. Mehr ist nicht möglich, da schlichtweg das Geld und die Arbeitskapazitäten fehlen.

 

NAWARO ENERGIE: Können in der derzeitigen Situation, Stichwort COVID-19, Waldpflegemaßnahmen durchgeführt werden? Stehen aufgrund der Grenzsperre genügend Arbeitskräfte zur Verfügung, und gibt es ausreichend geeignetes Pflanzmaterial?

Gerhard Mader: Durch die derzeitige Situation von COVID-19 leidet die Forstwirtschaft unter massiven Auswirkungen. Wegen der eingeschränkten Arbeitstätigkeit in der Bauwirtschaft und dem völligen Zusammenbruch der Holzexporte nach Italien, ist der Absatz zu unserem wichtigsten Schnittholz-Exportpartner völlig zusammengebrochen. Die Sägewerke drosseln ihre Einschnitte und die Industrie fährt vielerorts oft nur im Einschichtbetrieb.

Vielfach fehlen bei größeren Aufforstungen, vor allem in Forstbetrieben, ausländische Arbeitskräfte für die Frühjahrskultur. Dadurch sind wieder bedeutende Mengen an Pflanzmaterial am Ende der Pflanzsaison frei geworden, die für die heurige Aufforstung gerade noch ausreichen.

Oftmals fehlen Waldbauern oder Forstbetrieben bei größeren Aufforstungsvorhaben einfach die Geldmittel, weil bei der Schadholzernte fast kein Geld verdient werden konnte, oder, so wie vielfach beim Industrieholz, es unverkauft seit ein bis zwei Jahren im Wald liegt und die Erzeugungskosten bereits bezahlt wurden.

Größere Schadflächen von mehreren Hektaren sind hinsichtlich Kultivierung, Etablierung von Schutzmaßnahmen sowie der mehrjährigen Pflege mit den familieneigenen Arbeitskräften nicht mehr durchführbar. Die Erntekosten decken auch bei Förderzuschüssen für Laub- und Mischwaldaufforstungen die Kultur- und Pflegekosten bei weitem nicht mehr ab. Fazit: viele Flächen bleiben kahl. Die Waldbesitzer hoffen daher vielfach auf die Naturverjüngung.

 

NAWARO ENERGIE: Wie sieht der Absatzmarkt für Schadholz im Waldviertel aus? Welche Rolle spielen die Holzkraftwerke in dieser Situation?

Gerhard Mader: Der Holzmarkt ist nahezu völlig zusammengebrochen. Fast niemand kauft mehr heimisches Nadelsägerundholz. Zu groß ist die Verlockung sich österreichweit mit tschechischem Billig-Schadholz einzudecken. Eine Kiefer unter einem Mitteldurchmesser von ca. 35 cm ist nur mehr im Zuge einer vertraglichen Vereinbarung verkäuflich, schöne starke Kiefernbloche sind aktuell unverkäuflich. Das Holzpreisniveau ist gerade dabei sich an tschechische Marktbedingungen anzupassen.

Noch schlechter sieht es beim Industrieholz aus. In jedem Bezirk des Hauptschadensgebietes liegen mehrere Zehntausend Festmeter Industrieholz, manches bereits seit zwei Jahren, weil es keinen Käufer findet.

Forstbetriebe und Waldbauern vermarkten, wenn möglich, einen Teil des Industrieholzes als Waldhackgut für Holzkraftwerke. Diese Holzkraftwerke sind in Krisenjahren ein unverzichtbarer Abnehmer von großen Mengen angefallenem Schadholz. Wenn es auch weiterhin nicht gelingen sollte für das in riesigem Ausmaß anfallende bruttaugliche Material, sei es Waldrestholz (z.B. Äste oder Wipfel), Industrieholz oder Nadelsägerundholz, einen Abnehmer zu finden und damit für einen raschen Abtransport aus dem Wald zu sorgen, ist eine forstliche Katastrophe für das heurige Jahr vorprogrammiert!

In Österreich summierte sich der Schadholzanfall beim Nadelholz im Vorjahr (2019) auf rund 10,5 Millionen Festmeter, mehr als die Hälfte davon war Käferholz, vor allem aus Nieder- und Oberösterreich.